"Tausend und eine Nacht, gefunden in den glänzend schwarzen, tiefen Falten von alten Kämpfern der Süd Sahara"

"Lass uns noch ein wenig Wüstenboden unter unsere Füße bekommen, bevor wir morgen in die unbekannte Weite der Sahara eindringen". Axel, mein guter Lauffreund begleitet mich und meine Frau Ulrike nach Smara, am Ende der Wüste, eineinhalb LKW-Stunden, am Ende der Welt. Nach freundlichen Begrüßungszeremonien und einem umfangreichen Mahl steht uns der Sinn nach Joggen. Wir ziehen unsere Laufkleidung an, wollen nur ganz langsam laufen, Gefühl für den Untergrund bekommen.

Das System der Anordnung lehmiger Hütten, einiger Zelte und winziger, niedriger Klo-Häuschen dazwischen werde ich wohl nie verstehen. Wie eine Hauptstraße zieht eine breite, ausgewaschene Piste durch das Flüchtlingslager, eines von vier insgesamt. Smara, Dakhla , Al Aioun und Ausert werden wir morgen beim Marathon durchlaufen. Braune Lehmhüttenansammlungen, systemlos erbaut, hier fehlt Christian der Städteplaner.

Jedes dieser Lager ist benannt nach Städten in ihrer Heimat, ihrer westsaharischen Heimat, die sie vor 25 Jahren verlassen mussten, von Marokko nicht geduldet, von Mauretanien wohl unterstützt. Algerien gewährt diesem kleinen Volk der Saharawi (Saharaoui ausgeprochen) Unterkunft, die UN sorgen für das Nötigste. Sie wollen hier nicht Fuß fassen, wenngleich sie dort wo Platz ist, plötzlich ein Loch machen, Wasser mit Lehm vermischen, diesen in hölzerne Model pressen und gleich daneben die Hütte errichten, die gerade, auch wegen Heirat oder Platzmangel, nötig wurde. Der Aushub bildet 4 Wände, kleine tief gelegene Öffnungen zur Belüftung, die meist geschlossen sind, ein glatt gestampfter Lehmboden, der später mit bunten Teppichen bedeckt wird. Es bleibt eine Wunde, ein Loch zurück. Die Nächte werden dadurch gefährlich, keine Laterne oder Fackel erhellt die Pfade zwischen den Hütten und Zelten, ich knicke um, am Tag nach dem Marathon, stürze fast in eines der Löcher, helfende Frauenhände fangen mich auf, den alten Läufer.

Doch, da hat man auch einen Acker gesehen, von einer hohen Mauer umgeben, schüttere spärliche Halme haben es gewagt, sich in die dörrende Hitze dem Himmel entgegen zu strecken. Ein Mimosenstrauch, der Rest eines Oleanderbusches, wenige Dattelpalmen, verlassen ist, was doch der Garten Eden sein sollte. Die Erde scheint fruchtbar, was fehlt ist Wasser, es quillt aus einem defekten Rohr, bildet einen kleinen schmutzigen See und verdunstet, bevor es in den Boden dringt, um den Wurzeln der Pflanzen Labsal zu sein.

Man glaubt es den Menschen, die hier nicht sesshaft werden wollen, sie wollen zurück in ihre Heimat, dort wo es Wasser gäbe, dort wo ihre Familien seit hunderten von Jahren teils nomadend oder sesshaft ihre Wurzeln haben. Die alten Kämpfer der Polisario, die waffenstarrend der Welt zeigen werden, wie man ein Jubiläum feiert, behalten ihre Geheimnisse und Legenden hinter tiefen Falten im schwarzgebrannten Gesicht verborgen. Ich möchte ihnen lauschen, wenn sie abends beim Schein des Lagerfeuers berichten, von ihren Abenteuern und Legenden, vom Kampf um ihr Volk, vom Leben in der Wüste, auf Pferden und Kamelen, weitab von ihren Familien, verloren in einer für uns unbegreiflichen Weite, am Ende der Welt.

Uli unterhält sich indessen blendend mal auf spanisch, dann wieder auf französisch und häufig auf englisch mit den jungen Frauen, die eine kleine Lehmhütte mit Wellblechdach bevölkern. Seit 2 Jahren steht das 4 x 6 m große Geviert im Wüstensand, von Nagib unserem Deutsch sprechenden Guide. Für ein Wellblechdach fehlte ihm das Geld, so muß er mit seiner Familie noch bei den alten Eltern wohnen, in deren Hütte. Es gibt zu trinken, heimische Speisen, Tee in 3 Aufgüssen, von denen jeder vom Leben erzählt. Vom Leben, das bitter und süß ist, von der Liebe, die süß ist und schließlich vom Tode, dem bitteren, der all das Leben in sich aufnimmt und den stärksten Gehalt besitzt.

Da geht es unseren Gastgebern besser - stolze Besitzer eines großen Nomadenzeltes aus Tausend und einer Nacht, das Uli und 6 Amerikanerinnen bewohnen dürfen. Teppiche und Kissen, wo immer man hinschaut. Fahles Licht im fensterlosen Raum. Es wird gelacht und die Sitten werden verglichen, es wird gefragt, zaghaft geantwortet, bestaunt, und die Kinder, ja die Kinder, sie sind überall, wunderschöne Kinder, zärtlich, anschmiegsam, zutraulich, setzen sich auf den Schoß, lassen die, sie streichelnden Hände nicht mehr los.

"Geht ruhig, wenn ihr bei dieser Hitze in der Wüste laufen müsst, ihr werdet die einzigen sein, die jetzt laufen, ihr werdet schon sehen......" Uli hat recht, nicht wie beim Marathon des Sables oder gar dem Jordan Desert-Cup sieht man trainierende Läufer, man sieht nur uns , bestaunt zunächst von geschäftigen Saharawis, die hierhin und dorthin eilen, teils barfuß, teils mit einfachem Schuhwerk, Sandalen bekleidet. "Das gibt's doch nicht!" so müssen die Rufe der Kinder geklungen haben, als sie uns sahen. Und ehe wir uns versahen, waren wir umringt von ihnen, alle wollen uns die Hand geben, mit uns laufen, uns zeigen, dass sie schneller sind, wollen sprinten, ihre Ausdauer vorweisen.

Schon verlassen wir die Grenzen des Dorfes, es ist nicht mehr an langsames Laufen zu denken. Wir sind die Attraktion, die Unwirklichkeit, die Phantasie, das nie Dagewesene, da wollen sie alle dabei sein. Sie kennen das Wort nicht, meinen aber die Blasphemie, die es darstellt, bei dieser Hitze ohne Grund über eine ausgetrocknete Ebene zu laufen, Durst zu provozieren, der mit Wasser gestillt werden muß, das doch so fehlt. Noch lange werden sie von den beiden Alten erzählen, den Verrückten aus Europa, dem Land wo die Zitronen blühen, Bäche sprudeln, all das da ist, was hier fehlt. Die Zahl der Kinder nimmt nicht ab, nein sie nimmt zu. "`Mal sehen, wie lange die es schaffen mit zu laufen, wann kehren sie um... " deute ich Axel an, der an jeder Hand mindestens 1 Kind hat und damit beschäftigt ist, den Rinnen und Steinen am Weg, aber auch Kinderbeinen auszuweichen.

"Lass uns mal sehn wer schneller ist." Wir sprinten los die Kinder vorne, da kommen wir nicht mit, nein wir rechnen mit der Ausdauer, nach 200 m sind es nur noch 2 große Jungen und da ist ein Gewinner, dem heben wir den Arm als Sieger in die Höhe, er überragt sofort alle, wenngleich er nicht größer ist, will gleich noch mal siegen. Jetzt kommt der zweite Sprint, der dritte, der vierte Sprint. Das geht in die Beine. Die Kinder haben immer mehr Spaß, das Flüchtlingslager liegt weit hinter uns, wir müssen umkehren, damit keinem Kind etwas passiert.

Wieder gibt es Sieger, Pulse werden getastet, wer hat den langsamsten? Die Uhren an unseren Handgelenken sind Objekte der Begierde, sonst haben wir ja nichts, nur uns und unsere dünnen Laufhosen, in der Wüstenhitze gerade richtig. Ja, wir sprinten zurück, kommen an einer Ansammlung von apokalyptischen Ställen vorüber. In 2x2 m großen Drahtverhauen, wahllos auf trockenem Wüstenboden verteilt, unendlich viele Einfriedungen, in welchen traurige, magere Esel, Ziegen oder Kamele stehen.

Kein Grün, kein Wasser, kein Essnapf, nichts als Erde, Blech und Draht. Manchmal weht der dauernd tobende Sturm eine Plastiktüte an den Zaun einer solchen Behausung. Was auch immer darin vegetiert, es frisst sie , schlingt sie hinunter, scheidet sie später wieder aus und hatte sich doch satt gefressen. Das Gefühl gehabt, der Bauch ist voll. Manche krepieren jämmerlich daran. Gibt es für Tiere, jene ohne die Erbsünde, eine Hölle? Wer hat sie hier eingerichtet? Die Menschen leben hunderte Meter von diesen Verschlägen weg, haben dort dicht gedrängt ihre Lehmhütten errichtet, karg und einfach, doch geschützt vor Wüstenwind, der dauernd weht, brauchen nicht dem immer wehenden Sand den Rücken kehren. Einmal täglich tasten sie sich zu ihren Tieren durch, bringen Abfall, etwas Wasser, beeilen sich, der brütenden Hitze wieder in die kühlen Hütten und Zelte zu entfliehen. Jetzt ist es noch erträglich, im Sommer geht es für jede dieser Kreaturen ums Überleben, in einer Hitze, in der nicht nur die menschliche Seele zu kochen beginnt.

"Wir sollten nicht zu sehr ins Schwitzen kommen, es gibt keine Duschen, kaum Wasser zum waschen", das muß mal sein, Reinlichkeit ist hier ein Luxus für uns, wir sind nicht so geschickt, uns mit einer Schale und einem kleinen Kännchen mit duftender Seife zu waschen. Man will uns helfen, gießt geduldig das kühle und so klare Naß über unsere geschwitzten Hände. Wir schämen uns dafür, dass wir uns waschen müssen, Wasser brauchen, wo es doch gar keines gibt.

Glücklich sind die, deren Schweiß von der trockenen Wüstenluft sogleich aufgesogen wird. Wir schwitzen kaum, haben viel im anaeroben Bereich trainiert, werden morgen dafür bezahlen müssen. Leer werden sie sein, die Depots für unsere energiereichen Kohlenhydrate. Das Festessen, für jeden Geschmack, selbst die Vegetarier, ist etwas dabei und der Folklore-Abend lassen die Zeit enteilen und es ist spät geworden

Fast schon Mitternacht, wir unterhalten uns angeregt, da tritt die Gastgeberin ein und bringt uns noch einmal ein opulentes Essen, aus Reis, Cous Cous und kalten Pommes frites, dazu Fleischbällchen, Kamelfleischstückchen mit Knochen, viel Gemüse, Salaten aus Tomaten und Bohnen, süße Leckereien zum Schluß, dann werden wir mit kleinen Kännchen besprüht, wohlriechende Düfte preisgebend. Wir essen ohne Bestecke, gibt es hier nicht, man isst mit den Händen.

"Ich glaube denen wird es übel, wenn sie uns Barbaren essen sehen. Wir essen links wie rechts, sie würden dies niemals mit der linken Hand tun. Sie ist unrein, dient der Hygiene und wird nicht zum Essen verwendet."

Wir lernen, werden viel von den Saharawis lernen dürfen, vor allem, dass nichts wichtig ist, was wir für bedeutsam erachten. Wir lernen die Ruhe zu verstehen, die diese Menschen ausstrahlen, die uns anschauen, immer lächeln, die dabei sind, wenn wir in die Rucksäcke, Koffer oder Taschen sehen, um etwas zu suchen, zu finden, um es zu verschenken. Ihr Glaube gebietet ihnen die Gastfreundschaft, wir werden dem nicht immer gerecht.

Am folgenden Morgen ist es kühl, und noch dunkel, als der Muezzim wetteifernd mit einem mageren Hahn die Schlafenden weckt. Gut gefrühstückt habend nehmen wir Abschied und tragen unser Gepäck zu einem Wagen, wollen zum Start. Uli ist schon auf dem LKW, kaum zu entdecken, unter schwarzen Halstüchern, hat gerade Wolfgang Löscher und Ron Hill getroffen, die Halbmarathonis, ich rufe nach ihr.

Endlich finde ich sie, verabschiede mich, weiß, dass ihre Fahrt durch die Wüste holprig wird, empfehle ihr aufzustehen, habe Erfahrung mit Wüsten-LKW`s, sie wird mir später darüber berichten. An rostroten Wänden sitzen alte Männer, junge, verschleierte Frauen in wunderschönen bunten Gewändern. Sie wärmen sich an den ersten morgendlichen Sonnenstrahlen, sie haben alle schon ihr Morgengebet in Richtung der aufgehenden Sonne getan, unterhalten sich angeregt.

Lautsprecher mahnen die Marathonläufer zur Eile, ein Hubschrauber läßt Staub aufwirbeln, Wolfgang Löscher bittet mich, vorne beim Start zu sein, er will ein Bild schießen, einen Bericht in den Laufjournalen veröffentlichen. Eine breite Gasse, aus Kindern, Frauen, alten Männern und Kamelreitern, Autos kreuzen noch, Staub wirbelt auf. Da fällt der Startschuß, Die Unerfahrenen rennen wie vom Blitz getroffen los, sind schon ausser Puste, wenn sie 2 km hinter sich haben. Eine bunte Schar, bestehend aus Läufern, Zuschauern, vielen Kindern und bereits Erschöpften erfreuen sich laufend an dem ungewohnten friedlichen Spektakel. Es sind die zungenschnalzenden Laute, die uns antreiben sollen, von schwarz vermummten Schönheiten immer dann verlautet, wenn Freude in den glänzenden Augen sichtbar wird.

Uli wird es trainieren, wird noch oft auf dem Heimweg die Laute hören lassen, als wäre sie schon immer eine Tochter der Wüste gewesen. Erstmals habe ich diese Laute der sahrawischen Freude tief in der nächtlichen Sahara gehört, als ich vor über 10 Jahren alleine die Wüste bereiste und Gast einer Hochzeit in einem Kral am Rande einer Wasserstelle war.

Einige Straßenkilometer, schnurgerade `gen Süden und dann geht's erneut in Richtung Ost-Nord-Ost in eine Wüstenlandschaft, wie ich sie schon so oft gelaufen bin. Die schnellsten Läufer sind schon meinen Blicken enteilt, trotzdem glaube ich mich nicht weit von ihnen entfernt. Große, gut befestigte und platzierte Reifen, Steinmonumente sollen unsere Wegweiser sein. Die Verpflegungsstellen sind jedoch so nahe beieinander, dass man nach Verlassen der einen, die nächste fast schon sehen kann. Das ist komfortabel, beim Marathon des Sables und beim Jordan Desert-Cup gibt es nur alle 10 km eine Verpflegungsstelle.

Schon jetzt werden wir an den Verpflegungsstellen besorgt um unsere Gesundheit, nach dem Befinden befragt. Es geht in einigen Wellen, am Ende über eine dünenartige Landschaft dem Halbmarathon entgegen. Im Dunst des wehenden Sandes lassen wir westlich die Antigua farnacia liegen, eilen an Arbol genannt Sofia Buglu vorüber.

AUSERT, die Hälfte ist erreicht, nur 1h52, das verspricht eine Zeit unter 4 Stunden, in der Wüste, nicht schlecht....

Das würde mir schon passen, einen schönen Trainingslauf in unter 4 Stunden, in Marokko brauchte ich vor 2 Jahren noch 8 Stunden. Damals waren meine Füße mit Blasen bedeckt, Fleisch lag frei und nur die Liebe von Wolfgang, einem Lauffreund, der mich begleitete, ließ mich die Schmerzen vergessen, die bei unendlicher Hitze von den Fußsohlen bis in das Schmerzzentrum meines verwirrten Kopfes drangen. Wir unterhielten uns, erzählten uns aus dem Leben, von unseren Reisen und Abenteuern.

Erneut tauchen wir ein in eine große Ansammlung von Lehmhütten, schönen Beduinenzelten. AUSERT liegt am Boden einer Pfanne, tief in der südalgerischen Wüste verborgen, viele Kilometer durchmessend. Erst sind es wenige Kinder, die sich die kleinen zarten Händchen abklatschen lassen. Dann werden es mehr, Freudenrufe und das schnalzende fröhliche Zwitschern der saharawischen Frauen treiben mich an. Dort ist doch ein Markt, da kann man doch nicht hindurchlaufen, Menschen über Menschen, Tausende, ja es sind gar noch mehr?

Als ich am Sohler Berg war, beim Triathlon in Roth, da öffnete sich auch die Gasse der Zuschauer, war es nicht auch dem Col de Tourmalet bei der Tour de France ähnlich? Hier öffnet sich eine völlig ungeordnete Menschenmasse, nimmt mich in sich auf, schließt sich hinter mir wieder, um weitere Läufer in sich auf zu nehmen. Sie wollen mich halten, die Kinder mögen geherzt sein, die Großen wollen von unbekannten Welten hoch im Norden hören. Dann ist die Linie des Halbmarathons erreicht. Wasser schütte ich in meine Trinkflasche, laufe geschwind weiter, habe hier viel Zeit verloren.

Ein einheimischer Läufer scheint mich zu begleiten, ist er Marathonläufer oder gibt er gerade auf? Ich weiß es nicht, meine Eindrücke lassen logisches Denken nicht mehr zu. Ich bin entrückt, versunken in der Wüste, bin Teil von Tausend und Eine Nacht.

Ein paar Kilometer und es beginnt ein weicher sandiger Untergrund, ja, Du weißt doch, kennst doch den Wüstensand, die ausgefahrenen Wüstenpisten. Es läuft sich unendlich schwer, Kraft ist erforderlich. Uli ist längst im Ziel, als ich ihre Spur betrete. Axel Bücheler lässt sich Zeit, will alles genießen, war noch nie in der Sahara. Rechts von der Piste, manche Büsche sind inzwischen am Rande gewachsen, arbeiten vermummte Gestalten mit schwerem Werkzeug und brechen Basalt aus einer Grube. Colina Artificial, sind es die sagenhaften marokkanischen Gefangenen, die hier von Polisario-Kämpfern bewacht im Steinbruch Fronarbeit leisten müssen?

Ein LKW ist gerade beladen, kreuzt meinen Weg, wir grüßen uns freundlich. Ich verfolge die Spur des am Horizont verschwindenden Wagens, bin noch richtig, überhole den einen oder anderen Läufer. Jetzt sehe ich Al Aouyun. Rechts eine trügerische Fata morgana, am Horizont weit vor mir schemenhafte Gebäude, da muß das Ziel sein. Jetzt kann ich sie einholen, die mich schon mehrmals überholt haben, Pausen machten und jetzt einige Hundert Meter vor mir laufen. Ich fühle mich wohl, es müssen wohl noch 5 oder 8 km bis ins Ziel sein, riskiere es.

Fast 10 Läufer in der Gruppe, alles Spanier, lasse ich hinter mir, als vor mir erneut Läufer auftauchen. Auch sie werde ich einholen, noch bevor das trügerische Ziel erreicht ist, jenes, das gar keines ist. Uli wartet schon einige hundert Meter vor dem Ort auf mich, zeigt mir die weitere Strecke, die vor dem Ort plötzlich nach rechts abbiegt, einen großen Bogen um Gebäude macht, einer Polizeistation, einer Schule. Polizisten weisen mir den Weg, stehen schon stundenlang in der Hitze, nur für uns dort, haben Zeit, haben Geduld. Die letzten Meter eile ich dem Ziel entgegen - lange war ich schon im Ziel - komme jetzt aber erst an, habe mich um 45 Minuten verschätzt.

Sie raubte Kraft, die Wüste, der Sand, der Wind, der uns seit der Hälfte unentwegt entgegenbläst. Ich werde sofort empfangen von hilfreichen Händen, die mich nicht mehr loslassen, bis ich alles gefunden habe, was so ein Marathonläufer im Ziel braucht. Die Duschen sind eine Blasphemie, mitten in der Wüste, da vergeuden wir Wasser, der im Boden versinkt. Trotzdem tut es gut, reinigt, was schon länger darauf wartet.

Uli stand lange in der Sonne, erwartete mich und Axel, klagt jetzt über Kopfschmerz. Ich gehe in das Sanitätszelt, spreche mit einem Arzt, der mir eine Aspirin aushändigt. Uli lehnt sie ab, will lieber leiden. Da liegen sie, die jungen Frauen, 10 km waren sie bei größter Hitze gelaufen, kommen nicht mehr auf die Beine, sind restlos erschöpft, Kreislaufkollaps.

Ich bemühe mich genügend zu trinken, etwas zu essen. Wir werden großartig betreut und freuen uns über jeden, der ins Ziel kommt.

Jeb Carney hält eine Konferenz ab, mit mir, Uli und Emilio Sanchez, dem Leiter der spanischen Delegation. Wir diskutieren unter dem Dach eines Beduinenzeltes, auf dem Teppich ruhend, darüber, wie die Plaketten und Urkunden zu verteilen sind. Ich komme mir vor wie vor 100 Jahren, als Europäer die Nomaden besuchten und mit diesen Erfahrungen austauschten. Es geht mir gut, möchte hier bleiben, Phantasien begleiten mich bis zum Zelt, in dem wir später einkehren werden, Gast einer weiteren Familie sein werden, getrennt von Uli, von der ich über 30 Jahre nicht getrennt war, wenn wir gemeinsam reisten.

Es ist abends, das künstliche Licht einer autobatteriebetriebenen Neonleuchte erhellt den hellblau gestrichenen Raum mit seinen Teppichen, den Decken und Kissen, am Rande aufgeschichtet. In der Mitte ein tiefer Tisch, gefüllt mit Tellern und Tassen, mit Schalen voll Brot und Feigen und Nüssen, es geht uns gut. Rechts von uns sitzen die Familienmitglieder, 2 wunderschöne Kinder, die sich zärtlich an mich und Axel schmiegen. Wir versuchen eine Konversation auf Spanisch, wir brauchen die Hände, deuten, gestikulieren, können alles verstehen und auch sagen, was wir möchten. Wir trinken Tee.

Da kommt Uli herein, sie ist etwas aufgelöst, bittet uns um Hilfe. Es ist spät, die Läuferinnen in ihrem Zelt sind müde, möchten sich zurückziehen, erschöpft die Ruhe genießen. 3 halbwüchsige Buben und die Hausherrin möchten bleiben, möchten ihrem Rhythmus entsprechend noch ausführlich zu Abend essen, die Gäste bewirten. Tee wird gerichtet, angeboten, sie lehnen ab. Kulturen treffen aufeinander, sich missverstehend, der Gang zur Toilette wird zum Konflikt, Begleitung ist nicht erforderlich, wenngleich es stockfinstere Nacht ist bis zu dem einfachen winzigen Lehmbau, der nur gebückt zu betreten ist.

Uli bittet im Namen der Anderen um männlichen Beistand in der ihnen fremden Umgebung. Wolfgang und ich entschließen uns fortan bei den Frauen zu bleiben. Wir packen, ziehen um in die nur 30 m entfernte Hütte zu der Frauengruppe und treffen auf eine etwas gereizte Stimmung im Zelt der Läuferinnen. Ein Teil zieht aus, um dem Konflikt zu entfliehen. Mamya, eine englisch sprechende Saharawi versucht noch zu vermitteln. Schließlich ziehen sich die Familienmitglieder zurück, die es gut gemeint haben, die auch einmal einen Gast beherbergen wollten, die nicht verstanden, dass man um Mitternacht schon müde ist, und schon gar nicht den Jet-lag der amerikanischen Läuferinnen einschätzen können. Sie zählen unter den Armen zu den Ärmsten. Ihr Mann seit gestorben, die Kinder von unterschiedlichen Vätern, die Saharawi, welche uns bewirtete ist unglücklich, schickt sich an, mit ihrem Kleinsten unter unsere Decken zu kriechen.

Am nächsten Morgen könnte ich weinen..... Vor Kälte zitternd kommt die Familie in ihr Haus, ihre Gäste aufs Neue zu bewirten. Wir geben ihnen schnell wärmende Decken und versuchen uns zu entschuldigen, bitten um Verständnis. Geschenke werden nicht gut machen, was dieFamilie über ihre Gäste denken wird. Ihre Gastfreundschaft haben wir nicht verstanden. Das Zelt der Frauen zieht um, zu Mamya, der Schwester, die später voll schlechten Gewissens reich belohnt werden wird.

Der Jahrestag, ein Jubiläum das zum 25. Male gefeiert wird. Hier sind sie, die Vertreter der Vereinten Nationen, die Botschafter der sie unterstützenden Völker zu sehen, sie halten Reden, es nervt, keiner versteht ein Wort. Stundenlang, ja vom Vormittag bis in den Nachmittag hinein werden Lobeshymnen vorgetragen, Appelle an die Geduld, Mahnungen zur Disziplin und es wird von der Beständigkeit geredet, ihr Ziel, der Rückkehr in die Westsahara mit Inbrunst zu verfolgen. Soldaten, Soldatinnen, ja Kindersoldaten marschieren auf . Waffen werden vorgeführt, man bedeutet uns, dass sie von Marokko erobert wurden. Die Polisario-Veteranen formieren sich zu einer großen Gruppe alter Männer, die in Sandalen und hellbraunen Gewändern begeistert von tausenden Zuschauern feiern lassen. Der Präsident salutiert, verliert die Lust, setzt sich hin, und unterhält sich angeregt mit den Weltpolitikern, den Abgeordneten, Senatoren, den Hingeschickten.

Die alten Kämpfer, sie schauen zu, rufen arabische Lobeshymnen den marschierenden Uniformierten zu, Allah wird ihnen seinen Segen nicht versagen. Uli meint, so viele Teilnehmer kann eine Parade in der Wüste doch nicht haben, sie stellen sich immer wieder an, am Anfang der Alle von Menschen, werden am Ende von allen umarmt.

Grauhaarig, dunkle wallende Bärte, ehedem Bedouinen, Tuareg, manche auch Berber, die Augen glänzend, bis auf einen, seine Augen sind grau und blind vom Star, seine Barthaare korkenzieherartig vom Kinn in alle Himmelsrichtungen deutend, als wollten Sie von seinen Erlebnissen in der Wüste erzählen, seinen Kämpfen, seinen Entbehrungen. Man nimmt seine Hände und stellt mich, den bärtigen Aleman vor, er lächelt, seine warmen, schwarzen, weichen Hände umklammern meine weißen Finger. Allahs Schutz möge immer über meinem Haupte ruhen, beschützen möge er mich und alle meine Familienmitglieder, aber auch das deutsche Volk, das er schon immer bewundert hat. Er war es nicht, der später selbst auf einen ungeliebten Führer des Deutschen Volkes Allahs Segen herabbeschwor. Seinen Erzählungen möchte ich jetzt lauschen, mit seinen blinden Augen dabei sein, was ihn seine Erinnerung noch sehen lässt. Wie oft mag er gedürstet haben, sich in der weiten Wüste verirrt haben, sich um seine Familie und seine geliebten Kamele Sorgen gemacht haben. Wie oft mag er einsam gewesen sein, gekämpft haben, um sein Leben, um seine Habe, um seine Freiheit. Es muß jetzt beim Wunsch für ein glückliches Leben bleiben, bei dem Wunsch für Gesundheit für ihn und die Seinen. Möge Allah auch ihn beschützen und ihm Schmerzen und Leid ersparen. Möge Freiheit für sein Volk, seine Frauen und Kinder ohne Kampf und Leiden eines Tages beschert sein.

Die Frauenbewegung ist es, die mit der Welt Kontakt aufgenommen hat. Von ihnen scheint das Empowerment auszugehen. Sie sorgen für Erziehung, Bildung und Gesundheit der Kinder.

An den Olympischen Spielen teilnehmen, als Volk akzeptiert sein, dies zu unterstützen ist einer der Gründe für unsere Reise zum kleinen Volk der Saharawis.

Zu Scharen laufen sie mit, die Frauen, die meisten barfuß, schleppen sich durch die Marathondistanz, fallen nach 10 km Strecke reihenweise um, lassen sich lange ärztlich betreuen, sind meist noch nie länger als einige hundert Meter am Stück gejoggt. Sie lassen sich begeistern, nicht nur zum Dienst an der Waffe, nein sie haben es verstanden, verstanden, dass man auch friedlich, Ghandi nacheifernd, der ja auch lange in Süd Afrika lebte, fast mehr Afrikaner als Inder war, seine hochgesteckten Ziele erreichen kann. Sie möchten nicht kämpfen, nicht ihre Väter, ihre Männer und Kinder verlieren.

Sie sind muslemische Frauen, die ihre Kinder ebenso lieben wie wir und es zerreißt mir das Herz, wenn ich sie sehe, was sie alles opfern würden, um ihr gemeinsames Ziel, die Freiheit, die Rückkehr in ihre geliebte Heimat, zu erreichen.

Ich bin beseelt von dem Wunsche, einen winzigen Beitrag zu leisten, dass sie eines Tages friedlich zurückkehren können, dass die Zeit sie nicht ungeduldig werden lässt, ihre Männer sich in friedlichem Streben bemühen und nicht im Kampf unter gehen werden.

Wir sind alle Brüder, Menschen dieser Erde, tragen Verantwortung füreinander. Es geht uns unendlich gut in unserem Teil dieser Welt, wir haben Glück gehabt, hier geboren zu sein. Selten war mir dies bewusster geworden.

Werden wir diesem Glück gerecht, vergessen wir nicht unsere Brüder, nicht die in Burundi, die in Nord Korea, im Kosowo, die Kinder von Rio, von Bukarest, nicht die Sharawi. Lasst uns keinen vergessen, in den armen Teilen dieser Welt. Es ist schlimm und ich empfinde Trauer im Anblick der Ressourcen, die wir vergeuden, der Tiere, die wir töten, sie verbrennen, des leichten Geldes, in Fernsehshows verdient.

In der Hitze der Mittagssonne gehen wir zurück ins Dorf, zu den kühlenden Zelten, brauchen Abstand, mögen die unbekannten Laute aus den Lautsprechern nicht mehr hören.

Eine Hütte brennt, sofort helfen alle, Pässe verbrennen, Allah sei dank, es wird keiner verletzt. Sie tragen Wasser herbei, schütten selbst kleinste Mengen in die lodernde Glut.

Neugierde auch hier, sie kommen hervor, die, die sich bisher verborgen hatten, Behinderte, die Ärmsten der Armen, sie fragen, sie wollen helfen. Auf wackligen Mauern, Wellblech niederreißend, die Mutigsten, die Stärksten, Eimer werden halb gefüllt gereicht, Decken verbrennen, Schaumstoff glüht aus. Als sei es noch nicht heiß genug, lodert die glühende Flamme dem blauen Himmel entgegen, giftiger Rauch, schwarz, blau, weiß mischt sich mit ihm.

Die Glut der Armut, unterschätzen wir sie nicht, sie kann brennen, sie kann vernichten, das symbolische Feuer aus der kargen Wüstenhütte lässt den letzten Zuschauer die Not der Menschen hier erkennen, die jetzt die Hitze des Sommers noch nicht ertragen müssen, aber die Sandstürme, die nächtliche Kälte.

Nachdenklich lassen wir uns nieder, auf bunten Teppichen und weichen Kissen. Tee und Süßes wird erneut gereicht, als wir uns über das Erlebte unterhalten. Es wird dunkel, trotz der zahllosen Sterne am Himmel, es wird dunkel in den Gassen der Lehmhütten, der Zelte, ich möchte nicht mehr draußen sein, würde mich verirren, wo keine Laterne, kein Wegweiser, kein Straßenname oder Hausnummer zu finden ist, die mir den Weg weisen könnten.

Und hier, wo wir so nachdenklich geworden sind, trifft alsbald unser Clown ein, der uns begleitet hat am Flugplatz, uns die Zeit vertrieb, als es zu warten hieß. Bunt bemalt, mit weißer Perücke und weiten Pluderhosen war er einsam durch die dunkle Nacht des Wüstendorfes geirrt, das war kein Spaß mehr.... So kommt die Freude wieder in die kleine Hütte der Frauen und alle lachen, scherzen und sind alsbald entspannt, als Beach, der Clown jongliert, singt und weiße Hasen aus den Ärmeln zieht. "Oh Beach, we missed you so much………." Nachbarn kommen, es spricht sich herum, die Hütte platzt aus allen Nähten. Zu später Stunde reicht man uns noch Leckereien, Tee und kalte Pommes, wir spüren, dass ein Abschied auf uns wartet.

Naghib unser selbst erwählter Führer, der erst Mechaniker in Deutschland lernte, dann zum Medizinstudenten wurde, der so gerne eine Solaranlage mitgebracht bekäme, ist am nächsten morgen da - zum Zentrum des Dorfes, mit allem Gepäck sollen wir kommen, Busse warten auf uns. Schnell besorge ich noch die Medikamente, übergebe sie dem Dorfoberen, ein Arzt ist nicht greifbar. Dankbar nimmt man sie entgegen, Allahs Segen über mich.. Da waren noch hundert Luftballons, ich will sie nicht mitnehmen, eile durch die Gassen, überall Kinder, dankbare schwarze Händchen nehmen sie entgegen. Wohin mit dem Täschchen, Uli lief damit, lassen wir es Mamiya, die uns so lieb versorgte, da war, wenn wir sie brauchten. Wir schenken es ihr und merken gar nicht, dass unser ganzer Schluesselbund darin verborgen war, auf dass wie ihn nicht verlieren würden. Erst in Frankfurt, vor der Tiefgarage, da wollen wir ihn wieder, aus dem Täschchen, das wir bei Mamiya gelassen haben......

Allah wollte es so, wir sollten etwas zurück lassen, ohne Absicht, nein niemand hätte etwas zurück gelassen, was dort unnütz war. Vielleicht spielen Kinder jetzt damit, vielleicht hängt man den Autoschlüssel an ein schmales Bändchen, das den Hals einer jungen Hübschen ziert. Vielleicht hat man aber auch andere Verwendung, feilt ein wenig daran um einen neuen Schlüssel für die gerade fertige Tür der Hütte zu haben.

Wir müssen zurück, im nächsten Jahr, nach den Schlüsseln fragen, unsere neuen Freunde umarmen, wollen nicht nur einmal dabei gewesen sein -

Holger Finkernagel

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